Nichts verlangen, nichts abschlagen. Klingt irgendwie nach einem weiterführenden pädagogischen Konzept frei nach Maria Montessori oder wie ein herzliches Willkommen, schnell affichiert auf einen Flipchart eines Führungskräfteseminars.
Denke ich an meine Familie und an meine Kinder, klingen diese Schlagworte wie eine Antithese zu meinem persönlichen Erziehungszielen. Ständig verlange ich etwas von meinen Lieben, sei es, endlich die Hausaufgabe zu erledigen, oder sich etwas im Haushalt nützlich zu machen. Auch wenn die Augen noch so treuherzig an Samstagabenden funkeln, so schlage ich ihnen manche Party ab, wenn ihr Verhalten wieder einmal nicht der, nämlich meiner Norm entsprochen hat.

Undenkbar dieser Leitsatz in Betrieben! Ein Nichts Verlangen und Nichts Abschlagen widerspricht jedem betriebswirtschaftlichen Denken. Wo kämen wir denn hin, wenn man von Mitarbeitern nichts verlangen dürfte und ihnen nichts abschlüge?
Was hat nun Franz von Sales gemeint, als er kurz vor seinem Tod diesen Ratschlag einer fragenden Heimsuchungsschwester zur Antwort gab?

Nichts verlangen! Bei tieferer Betrachtung dieser Worte und in Kenntnis des Geistes, der alles nur nicht leicht und oberflächlich zu verstehen ist, forderte Franz von Sales mit dem Verzicht auf ein Verlangen alles, nämlich die persönliche Freiheit, ein. Regeln aufzustellen und diese zu befolgen ist eine urmenschliche und auch notwendige Bedingung menschlichen Zusammenlebens. Und doch forderte Franz von Sales mehr, nämlich den freien Willen dies zu tun. Nur in Freiheit und ohne Zwang von außen schien es ihm möglich zu sein, den göttlichen Funken einzufangen und aus tiefer Überzeugung so zu handeln, wie es einem christlichen Leben entsprach.
Freiheit fordert ein verantwortetes Leben. Es ist leicht, nach vorgelegten Regeln zu leben, weitaus schwieriger, diese auch in Freiheit zu tun. Natürlich habe ich meinen Kindern ständig Regeln und Gebote gegeben, als sie klein und verletzlich waren, nun sind sie selbstständig geworden, ich muss mich zurücknehmen und beobachte sie in ihrem Tun. Sie leben anders als wir noch vor zwanzig Jahren und doch können sie immer wieder auf die Basis der Liebe zurückgreifen, die sie bereits als Kinder erfahren haben. Es ist ein gegenseitiges Vertrauen in Freiheit geworden.

Dieses Nichts verlangen würde man in betriebswirtschaftlichen Denkmustern als corporate identity bezeichnen. Ein Verhalten, das sich voll und ganz nach einer Idee oder nach dem Gedanken einer Firma richtet, nicht weil es durch Regeln aufgezwungen ist, sondern weil sich das Individuum frei dafür entschieden hat.
Christus nachzufolgen im täglichen Tun und Streben heißt, nichts zu verlangen, in Freiheit entscheiden zu können, nicht weil es das kanonische Recht oder Pflicht ist, sondern aus tiefer und innerer Überzeugung. Ich glaube, das Franz von Sales durch diesen Ratschlag seinen Heimsuchungsschwestern und somit auch uns einen weitaus schwierigeren Weg gezeigt hat, als stumpfsinnig einem Hirten und dessen Regeln zu folgen.

Nichts abschlagen! „Sie haben kein Recht auf Ungehorsam!“, war vor ein paar Wochen Schlagzeile einer österreichischen Tageszeitung. Ein Diözesanbischof stritt in einem Leitartikel einer Plattform von Priestern und Laien das Recht ab, ungehorsam gegenüber der römisch katholischen Kirche zu sein. Frei nach dem Motto, was im Kirchenrecht nicht erlaubt ist, darf auch nicht gedacht werden. Für mich ist diese Initiative von Priestern und Laien, die verschiedene Reformen in der Kirche einfordern, wie ein Befreiungsschlag nach monatelangen Informationen über Missstände und gewalttätigen oder sexuellen Exzessen in der Kirche.

Diese erschreckliche Aussage des Bischofs ist nur ein Zeichen dafür, dass er die Bedürfnisse seiner Gemeinschaft nicht mehr ernst und auch nicht mehr wahr nimmt. Es kann und darf nicht sein, dass man sich mit irgendwelchen Paragrafen des Kirchenrechts bekriegt und vollkommen übersieht, dass Frauen und Laien schon längst kirchliche Dienste übernommen haben und diese auch in christlichem Sinne tun. Der Wunsch auf Veränderung darf nicht abgeschlagen werden. Leider ist das Denken mancher Bischöfe immer noch autoritär, das wäre anders, wenn sie liebten, nicht ihre Position, sondern die Menschen! Die Liebe könnte nichts abschlagen. Die Liebe muss per se Ungehorsam fordern, weil Liebe keine Regeln kennt, schon gar keine kanonischen.
So würde ich den Ratschlag des Bischofs Franz von Sales an seine Heimsuchungsschwestern nichts zu verlangen und nichts abzuschlagen vielleicht verkürzen und ins Heute interpretieren in:
„Lebe deine Freiheit und liebe!“

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