Ich kann das einfach nicht, was die Redaktion von mir verlangt!
Thema: Mit Gott intim. Diesmal also kein Hörfehler. Ich soll über den Zustand tiefster Verbundenheit und Vertrautheit schreiben, soll über Intimitäten mit meinem Gott berichten, und das vor 4.000 Lichtleserinnen und -lesern! Grenzt das nicht an einen religiösen Exhibitionismus?
Gut, ich mache es trotzdem. Sie werden schockiert sein, denn ich bin 48 Jahre, Mutter von vier Kindern, bin berufstätig und habe ein Haus umgebaut. Das hinterlässt seine Spuren, nicht nur körperlich. Neben Rücken- und Bandscheibenproblemen kämpfe ich gegen mein Gewicht an. Auch wenn mein Frauenarzt meint, von einer schönen Frau könne es nie genug geben. Ich bin ständig in Zeitnot, auch wenn ich den Tag in der Früh, noch im Bett liegend, wunderbar vorbereite. Da ist wieder einmal ein Kind krank und muss zum Arzt, oder das verdammte Auto springt nicht an; ich plärre durchs Haus, wenn die Katzen schon wieder am Badezimmerteppich ihre Notdurft verrichtet haben, die Kinder vorm Fernseher sitzen und ihre Zimmer ausschauen, als hätte dort eine Bombe eingeschlagen. Nebenbei versuche ich, meinen Jähzorn zu bändigen, wenn meine Mutter meint, man wachse mit seinen Herausforderungen, und wen Gott liebt, den prüfe er eben.
Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, vieles zu schlucken, scheinbar Unveränderbares hinzunehmen und über Beziehungskrisen den Mantel des Schweigens zu legen. Mir helfen keine kirchlichen Traditionen, auch kein Messbesuch und schon gar keine Beichte, um mit Gott intim zu werden, denn mich stört bei meinen Kirchenbesuchen das aufdringliche Parfum von Frau X neben und die neugierigen Blicke von Herrn Y hinter mir. Die salbungsvollen oder mahnenden Worte unseres Pfarrers kann ich auch nicht ernst nehmen, kein einziges Mal hat er mich gefragt, wie es uns und mir mit einem schwerstbehinderten Kind geht. Und das seit sieben Jahren. Von internen Kirchenkrisen, von katholischen Verdrängungsmechanismen und von der pathologischen Uneinsichtigkeit, sich der Probleme der Menschen anzunehmen, möchte ich erst gar nicht beginnen.
Und doch kann ich mit meinem Gott sehr vertraut, sehr intim werden. Sie fragen mich wann und wo?
Ich kann es Ihnen sagen: Beim Beten und beim Fluchen, da bin ich ganz eins mit meinem Schöpfer, und ich weiß, er ist bei mir und versteht mich. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele:
Auf der Heimreise von einem viertägigen Kurzurlaub – ich hatte dringend Entspannung und meine Familie ein paar Tage Erholung von mir nötig – fuhr ich eine schmale Serpentinenstraße entlang, als ich an einer Blumenwiese vorbeifuhr, die mich aufgrund ihrer Schönheit und frühlingshaften Buntheit zum Stehenbleiben einlud. Mein Gott, dachte ich mir, wie lange schon hatte ich keinen Blumenstrauß mehr für meinen geliebten Ehemann gepflückt. Ich ließ das Auto am Wiesenrand stehen, die Fenster waren geöffnet und während ich verzückt Margeriten, Kornblumen und seltene Gräser zu einem herrlichen Strauß band, hörte ich aus dem Wageninneren Johann Sebastian Bach. Von Ferne vernahm ich dumpf die Dorfglocken aus dem Tal läuten, die vom bevorstehenden Gottesdienst kündigten, den ich eigentlich – es war Sonntag und ich hatte es mir am Heimweg vorgenommen – noch besuchen wollte. Es würde sich jetzt sicher nicht mehr ausgehen. So zog ich mir die Schuhe aus und stapfte barfuß durch das nasse, meterhohe Gras. Eine Rehgeiß fühlte sich von meiner Anwesenheit gestört und stob mit ihren Jungen davon, ich blickte ihnen fasziniert nach. Herrliche Stille und Ruhe umgab mich, mein Strauß wuchs und mit ihm die Dankbarkeit und innere Demut vor der Größe unserer Schöpfung. Bei jeder Blume, die ich band, dachte ich an meine Kinder, an meinen Ehemann, und an Gott, der es mit mir unwahrscheinlich gut gemeint hatte, weil er mich sehend gemacht hat für die schönen Dinge des Lebens. Mein Blumenstrauß hängt – mittlerweile trocken – am Kruzifix in unserer Küche. Ich sehe ihn jeden Tag beim Kochen und freue mich über diesen herrlichen Moment innerster Begegnung.
Ich sollte dringend zur Vertragsunterzeichnung – mein neues Buch ist fertig – in den Wiener Verlag kommen. Sehr erfreulich, und es wäre nicht wirklich ein Problem geworden, wenn mir nicht die Babysitterin in der letzten Minute abgesagt hätte und Felix mit einem blutenden Ohr – er hatte vom Baden eine Mittelohrentzündung – in die Küche kam, während ich die Torten für das Schulabschlussfest in Vorbereitung hatte. Clemens brauchte sein neues Hemd, was natürlich noch nicht gebügelt war, und Sebastian am Telefon, der aufgrund einer wirklich schweren Prüfung an der Uni zu beruhigen war. Ich stand am Herd und heulte. Ein neuer Tagesplan musste aufgestellt werden. Alles würde sich ausgehen, nur nicht die Vertragsunterzeichnung in Wien. Typisch, immer musste ich auf meine Bedürfnisse verzichten! Ich war frustriert. Als dann noch meine Mutter mit erdigen Füßen und schmutzigen Händen vor der Türe stand und lautstark den Zustand meines Gartens kritisierte, schrie ich innerlich zu Gott und verfluchte das blutende Mittelohr, das ungebügelte Hemd und die Sch…torten, die immer noch nicht fertig waren.
Ich schimpfte auf Gott und mein Leben. In diesem Moment war ich ganz bei ihm und er bei mir. Dann ließ er meine Blicke über den vertrockneten Blumenstrauß ziehen. Sofort musste ich an den wunderbaren Moment auf der Blumenwiese denken. Ich beruhigte mich, Clemens ging mit einem ungebügelten Hemd aus dem Haus, Felix wurde ins Krankenhaus gebracht und das Schulfest auch ohne meine Torten gefeiert. Den Vertrag unterschrieb ich eine Woche später.
Sie sehen also, beim Beten und beim Fluchen bin ich ganz verbunden mit meinem Gott. Wichtig dabei ist nur, dass wir uns gegenseitig immer wieder Blumensträuße schenken.
(LICHT 5/2012)