„Was darf´s denn sein?“, fragte mich vor zwei Tagen die freundliche Metzgerin, als ich erschöpft vor ihr stand.
„Das erste nette Wort heute!“, dachte ich mir und gab ihr zur Antwort: „Eine Leberkäs-Semmel, und bitte die größte, die sie machen können.“

Während sie geübt mit einem großen Messer eine Semmel halbierte und ein riesiges Stück von der duftenden Köstlichkeit herunter schnitt, meinte sie leise: „Frustriert?“

„Ja, und wie! Eigentlich will ich ja abnehmen, aber ich komme gerade aus der Schule meiner Kinder und habe eine furchtbar unangenehme Sprechstunde mit einem noch unangenehmeren Lehrer hinter mir!“

„Mein Gott, wie ich das von meinen Kindern kenne! Schauen Sie mich an, ich bin nur wegen meiner Kinder so dick geworden, viele Schwierigkeiten bedeuteten für mich viele Leberkäs-Semmeln,“ und reichte mir das herrlich riechende Frustpaket über den Tresen.
Da ich noch etwas Zeit hatte, Moritz musste heute um elf Uhr von der Schule geholt werden, setzte ich mich in die kleine gotische Kirche, die neben dem Gebäude stand. Dort ließ ich mich mit meiner dicken Semmel in einer dunklen Ecke des Gotteshauses nieder, um mich in Ruhe von dem Gehörten zu erholen, eigentlich aber um endlich meine Leberkäs-Semmel essen zu können.

„Ja, schau mir nur zu“, murmelte ich dem riesigen hölzernen Christus zu, der vor mir auf seinem Kreuz hing, „von mir kriegst du heute nichts ab, ich ess´ sie ganz alleine auf. Ich teile nicht mit jemandem, der mir nicht hilft. Zuerst wollte ich den Mathematiklehrer verbal erschlagen, jetzt meine Kinder. Wehe, wenn sie von der Schule heim kommen, die werden etwas von mir hören! Dabei habe ich die Karten für das Rockfestival, das sie besuchen wollen, schon in der Tasche, als Belohnung, weil sie eigentlich zu Hause so hilfsbereit und lieb sind. In der Schule sind sie aber Kröten. Ich werde die Karten einfach anderen Kindern verkaufen, oder besser verschenken, dann ärgern sie sich doppelt. Das kann doch nicht sein, dass man zwei Monate keine Hausübungen bringt, von einer beredten Mitarbeit ganz zu schweigen. Der Pädagoge meinte nur zynisch, er würde bei Fragen an meine Liebsten in zwei hohle Löcher fallen. Sehr nett. Dabei hat mir einer der beiden erst kürzlich nach meiner strengen Aufforderung, endlich einmal ein Hausübungsheft kontrollieren zu können, erklärt, man würde nichts mehr für die Schule tun, weil Dezember 2012 ohnehin die Welt unterginge.“
Während ich ihm das alles erzähle – meine Leberkäs-Semmel war bereits schnabuliert –, zündete ich bei dem Bildnis der Mutter Maria drei Kerzen an, eine für den bescheuerten Lehrer und zwei für meine Mathematikgenies.

„2012 Weltuntergang! So ein Schwachsinn! Die machen alles, um nur ja nicht lernen zu müssen, und wenn schon, möge sie doch untergehen, dann sollten meine Kinder wenigstens nicht vollkommen deppert sterben! Naja, die Euler‘sche Gerade oder den pythagoreischen Lehrsatz musste man nicht unbedingt kennen. Weißt du, ich verstehe das Ganze irgendwie nicht. Zu Hause sind sie hilfsbereit und aufgeschlossen, sie putzen mir das Auto, wenn sie es wieder einmal von Moritz verdreckt vorfinden, kümmern sich um ihren behinderten Bruder wie Glucken und sind nicht lautstark angefressen, wenn ich vor lauter Therapien mit dem Kleinen das Kochen vergessen habe. Dann machen sie sich eben Pizza, ist ja auch egal. Du wirst es nicht glauben, aber abends, wenn andere Jungs vor ihren Computern sitzen, sprechen wir in der Küche über alles und jenes, auch über dich. Aber auch über andere Wege, als die katholisch vorgegebenen, um zu dir zu finden.“ Ich zünde weitere Kerzen an für Moritz und für meinen Mann.

„Ich komme auch schon in ein Alter, da will man einfach nur mehr ein bisschen mehr Zeit für sich und seine Bedürfnisse. Ich weiß nicht, wie lange ich noch Kraft habe, alles zu organisieren und richtig zu machen. Ich zweifle vielleicht weniger an ihnen, als an mir selber.“

Ich fange an, die Gebetbücher, die unaufgeräumt in den Bänken liegen, zu Stößen zu ordnen, und die Stühle, die verschoben von einem Gottesdienst, um den Altar stehen wieder in die richtige Reihe zu bringen.
„Ich kann sie ja nicht im Stich lassen, dafür liebe ich sie zu sehr. Außerdem sind sie alle freche Jungs und müssen irgendwie noch geführt werden. Bald aber werden sie Flügel haben, dann kann ich sie unbekümmert fliegen lassen. In deine wunderschöne Welt. Sie werden sie sehen und begreifen, weil sie dich kennengelernt haben. Mein Gott, die Schule, wir werden das alles noch überleben und ich werde über die heutige Sprechstunde in einem Jahr lachen können. Apropos Schule, mein Gott, ich muss ja Moritz holen! War jetzt nett, mit dir geplaudert zu haben, mir geht‘s jetzt echt besser. Tut mir leid, dass ich dir vorher kein Stück vom Leberkäs geben wollte.“

Eine Abschlusskerze zünde ich noch für mich an und verspreche der gütig dreinblickenden Muttergottes, mit den Kindern beim Heimkommen nicht zu schimpfen, sondern in Ruhe ihr Problem zu lösen, auch wenn‘s mathematisch schwierig wird.
„Und die Karten fürs Rockfestival?“ höre ich eine Stimme aus der Richtung des Kreuzes fragen.
„Die kriegen sie trotzdem!“ antworte ich spontan beim Verlassen der Kirche der leisen männlichen Stimme.

(LICHT 4/2012)

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