Den frühen Morgen liebe ich ganz besonders. Noch schlaftrunken im Ehebett liegend, genieße ich den Duft von Kaffee, der mir zärtlich in die Nase steigt. Draußen in der Küche herrscht schon reges Treiben, die letzten Entschuldigungen sollen geschrieben, Jausenbrote gerichtet werden, die Kinder müssen zur Schule.

Moritzchen saugt bereits genüsslich an seiner Kakaoflasche, und ich höre aus dem Badezimmer monoton das Wasser der Dusche plätschern. Es ist dann nur mehr eine Frage von Minuten, dass sich einer meiner Söhne leise ans Bett schleicht, um mich mit einem Guten-Morgen-Kuss aufzuwecken. Ich öffne dann vorsichtig meine Bettdecke und mit einem lächelnden Murren, Mama, dafür bin ich wirklich schon zu alt!, schiebt sich ein wohlig duftender Körper darunter.
Und jäh bin ich zehn Jahre zurückversetzt in eine Zeit, als sich sechs Kinderbeine und vier Elternbeine um die Decken und Kissen stritten.

Mein ältester Sohn hatte bis zum zehnten Lebensjahr massive Schlafstörungen. Stundenlanges Geschichtenerzählen, wärmende Thermophore, tausenderlei Spieluhren oder hunderte Betthäschen, nichts konnte das Kind dazu bewegen, in seinem Bett zu bleiben, sich und uns einen wohlverdienten Schlaf zu gönnen. Uns Eltern konnten weder gute Ratschläge der Großeltern noch homöopathische Tröpfchen verschiedener Ärzte davor bewahren, dass der Bengel nach dreistündiger Überredungskunst im Bett zu bleiben um 23 Uhr wieder vor unserer Schlafzimmertüre stand und uns plärrend darauf aufmerksam machte, dass er nicht einschlafen könnte, weil ihn ein schwarzer Mann über und ein Krokodil unter seinem Bett bedrohte. Nach jahrelangen Kämpfen hatte ich irgendwann aufgegeben und fand mich auf einer Couch einer Psychologin wieder. Ich wollte die unbeschreibliche Wut auf mein Kind, auf mich im Speziellen und auf die ganze Welt im Allgemeinen loswerden. So lag ich angespannt auf dem Sofa. Wenn es nichts brachte, dachte ich mir, dann hätte ich zumindest ein Rezept in der Tasche, Medikamente für die Nerven, um den unerträglichen Zustand zu Hause, vor allem nächtens, leichter ertragen zu können.

Die Ärztin hörte mir ruhig und besonnen zu, nickte dann und wann und machte auf mich einen sehr entspannten und kompetenten Eindruck, bis sie mir eine Frage stellte:
„Haben Sie einen guten Tischler?“ – „Wie bitte?“ – „Ganz einfach, Sie brauchen ein größeres Bett!“ Zorn stieg in mir hoch. Das konnte nur jemand sagen, der keine Ahnung von Kindern, von Haushaltspflichten, von beruflicher Überforderung und ständigem Stress hatte, dumme Urschel! Die Psychologin legte den Schreibblock zur Seite und schaute mir ganz tief in die Augen.

Sich vertrauensvoll fallen lassen zu können, sich geborgen zu fühlen in dem tiefen Bewusstsein, dass nichts passieren würde, auch wenn man auf verschiedene Dinge im Leben keinen Einfluss nehmen könnte, meinte sie, wäre für mich und für das Kind ein schwieriger, aber lösbarer Lernprozess. Ich sollte weniger zwanghaft agieren, mehr auf meine Gefühle und die Sorgen meines Kindes hören, denn für ihn existierte das Krokodil tatsächlich. Vor allem die beginnende Nacht würde in uns Ängste erwecken, ein hilfloses Verlassen-Sein.

„Lassen Sie einfach los von Ihren Erwartungen, nehmen Sie die Dinge an, wie sie sind!“
„Und mein enges Bett? Ich muss es jede Nacht mit den Kindern teilen!“
„Sag ich ja, kaufen Sie sich ein größeres!“
„Dann hat aber der Kleine wieder gewonnen!“
„Verstehen Sie nicht? Liebe kennt keine Gewinner und Verlierer!“

Bei der Heimfahrt blieb ich kurz bei meiner kleinen Kapelle, die hoch über unserem Dorf thront, stehen, ich dachte an meine Kindheit, an meine Schlafschwierigkeiten, an die Verbote meiner Eltern, zu ihnen kuscheln zu können, und an die herrlichen Gefühle, wenn meine Schwester die Decke verständnisvoll öffnete, um mir die Angst vor meinen Krokodilen zu nehmen. Warum hatte ich das alles nur vergessen?
Da waren doch Menschen, sei es meine Schwester, mein Großvater, mein Mann und auch Gott, bei denen ich Schutz und Sicherheit suchte und auch fand. Sogar in der kleinen lieblichen Kapelle fühlte ich mich beheimatet und geborgen.
Ich zündete eine Kerze an und beschloss, ein größeres Bett zu kaufen.
Das riesige Bett haben wir heute noch, mittlerweile knarrt und quietscht es auch schon, immerhin hat es über Jahre jede Nacht seine Dienste getan, gegen Krokodile, schwarze Männer, Lateinprofessoren oder gegen Liebeskummer.

Von nur kurzer Dauer war die morgendliche Begegnung mit meinem Sohn, umso herzlicher musste ich aber schmunzeln, als er mir beim Aufstehen sanft ins Ohr flüsterte:
„Wenn ich groß bin und Kinder habe, schaffe ich mir auch so ein Riesenbett an!“
Gott ist ein wunderbarer Tischler!

(Erschienen in der Zeitschrift „Licht“ in der Ausgabe 6/2012)

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